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DRUCKVERSION Wenig Stadt, viel Land

Die IBA-Thüringen geht auf die Dörfer. Denn dort liegt die Zukunft des Bundeslandes, das zwar keine Metropolen hat, dafür aber jede Menge identitätsstiftende Landschaften

von UWE RADA

Das mit der Botschaft ist natürlich ein Thema. Da will Marta Doehler-Behzadi gar nicht um den heißen Brei herumreden. Die Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land im benachbarten Brandenburg wollte von 2000 bis 2010 mithelfen am großen Umbau der Lausitz nicht nur zur Bergbaufolgelandschaft, sondern auch zur Seenlandschaft mit Zukunft. Die IBA-Stadtumbau in Sachsen-Anhalt hatte es sich zum Ziel gesetzt, der anhaltenden Schrumpfung im Lande mit geschärften Profilen der Schrumpfstädte zu begegnen – und so eine Art Markenkern herauszuschälen, der am Ende des schmerzhaften Gesundschrumpfens Bestand haben sollte. Die IBA in Hamburg wiederum suchte durch den "Sprung über die Elbe" neue Räume für eine rasant wachsende Stadt. Mögen sich auch die Internationalen Bauausstellungen im Lauf der Jahrzehnte von ihrer Fixierung auf Architektur und konkrete Räume gelöst haben – die klaren Botschaften waren geblieben.

Aber was ist die Überschrift über die Internationale Bauausstellung, die Marta Doehler-Behzadi als Geschäftsführerin zu verantworten hat? Bislang trägt ihre IBA nur den Titel Thüringen im Namen. Diesmal gleich ein ganzes Bundesland. Doehler-Behzadi weiß aber auch, dass jede Konzentration auf einen bestimmten Teilraum nur eine Wiederholung dessen gewesen wäre, was es bereits gab. Stadtumbau. Folgelandschaft. Schrumpfung. Energielandschaft. "Wir wollen aber die Frage stellen, wie ein Bundesland, das demografisch unter einem riesigen Druck steckt, Wege in die Zukunft finden kann."

Das treffe auf Thüringen in ganz besonderem Maße zu. "Wir haben keine Metropole wie Brandenburg mit Berlin oder Sachsen mit Leipzig", sagt die IBA-Chefin. "Stattdessen haben wir eine einmalige Siedlungsstruktur mit vielen Dörfern, kleinen und mittleren Städten, dazu noch Erfurt, Jena und Gera als Großstädte. All das zusammen mit der wunderbaren Landschaft und den Burgen ist nicht nur identitätsstiftend, es ist für Thüringen auch ein Alleinstellungsmerkmal."

Bei der IBA-Thüringen, das wird schnell klar, geht es nicht um große Sprünge wie an der Elbe oder mächtige Erdbewegungen wie im Land des ehemaligen Fürsten Pückler. Vielmehr geht es um das, was Stadt und Land im Innersten zusammenhält. "Wo soll man diese Fragen besser stellen, als in Thüringen", ist die IBA-Chefin überzeugt.

Dörfer unter Druck

Das Schwarzatal ist eine dieser lieblichen Landschaften Mitteldeutschlands. Es liegt im Süden Thüringens, viele sind in den vergangenen 25 Jahren abgewandert. Eine Nachwende-Peropherie, in der die Zivilgesellschaft aber noch intakt ist, sagt Ulrike Rothe, als Projektleiterin zuständig für das Schwarzatal. "Die größte Ressource hier sind die Menschen. Sie wollen zusammenarbeiten."

Also versuchen die Dörfer und Städte entlang der Schwarza und Saale, darunter auch Saalfeld, Rudolstadt und Bad Blankenburg, sich so autark wie möglich zu machen. Für Burkhardt Kolbmüller ist das auch die Chance, einen Stimmungsumschwung zu erzegen. "Da ist viel positive Energie im Spiel", sagt der promovierte Kulturwissenschaftler, der das IBA-Projekt "resilientes Schwarzatal" mit angeschoben hat. "Im Gegensatz dazu war das Schwarzatal nach der Wende im freien Fall. Damals war sehr viel negative Energie unterwegs."

Die IBA als Energiegenerator: Im Schwarzatal kommen für Kolbmüller vor allem drei Themen zusammen. "Wir wollen die Beziehungen zwischen Produzenten und Verbrauchern enger knüpfen, wir wollen das Thema Partizipation stark machen und uns natürlich auch um regenerative Energien kümmern."

Den Begriff der Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit, haben sie im Schwarzatal auch ausgewählt, um sich von den anderen Zukunftsmodellen zu unterscheiden, sagt Kolbmüller. "Es gibt robuste Landschaften, um die man sich keine Sorgen machen muss, dann die riskanten, von denen man manche nicht mehr retten kann, und eben die resilienten, die sich durchaus als flexibel erweisen, mit den Herausforderungen der Zukunft umzugehen."

Ein Thema, mit dem das "resiliente Schwarzatal" auch bei den meisten Bewohnern punkten kann sind die Streuobstwiesen. "Wir haben noch über 1.300 Streuobstwiesen in der Region", sagt Kolbmüller. Für 50.000 Euro wurde nun in eine Mosterei investiert. "Regional erzeugter Apfelsaft, das kommt bei den Leuten an, da kommt man über das Thema Hersteller und Produzent miteinander ins Gespräch."

Eine Naziszene gebe es im Schwarzatal nicht, meint Kolbmüller, und auch in Saalfeld sei es inzwischen ruhig geworden. Aber eine Nazi-Vergangenheit, die gibt es. Schloss Schwarzburg, auf dem der damalige Reichspräsident Friedrich Ebert am 11. August 1919 die Weimarer Verfassung unterzeichnete, ist von den Nazis in der vierziger Jahren verwüstet worden. Hier sollte ein NSDAP-Gästehaus entstehen. "Als IBA-Projekt wollen wir das Schloss zum hundersten Jahrestag der Unterzeichnung der Verfassung wieder sanieren", sagt Burkhardt Kolbmüller. Damit wären gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Ein Zeichen gegen rechts, und die Ertüchtigung einer Landmarke, die zur Identität – und damit auch zur Widerstandsfähigkeit – dieser Thüringer Randlagenregion beiträgt.

Willkommen auf dem Lande

Ein Zeichen gegen rechts setzt auch die Stadt Zeulenroda-Triebes in Ostthüringen. Auch dort wandern die Jungen und Flexiblen ab, doch anders als im Schwarzatal gibt es dort nach wie vor Arbeit. "Wir haben inzwischen sogar einen Fachkräftemangel", erklärt der parteilose Bürgermeister Dieter Weinlich. "Die Unternehmer suchen händeringend Mitarbeiter, die die nötige Qualifikation mitbringen."

Also hat Weinlich zusammen mit den Unternehmern und den städtischen Wohnungsunternehmen das Projekt "Campus Zeulenroda-Triebes" bei der IBA eingereicht. In den nächsten Jahren soll die Stadt an der gleichnamigen Talsperre wieder attraktiv werden, mit Wohngemeinschaften für junge Menschen, Freizeit und Kultur. "Wir wollen im Rahmen der IBA 150 Menschen eine neue Perspektive geben", sagt Weinlich. "Dabei spielt es keine Rolle, woher sie kommen, ob aus Italien, Marokko oder aus der Region."

Eine neue Willkommenskultur soll also in Zeulenroda-Triebes entstehen. Bei der Unterbringung von Flüchtlingen haben sie in der 17.000 Einwohner zählenden Stadt im Thüringer Vogtland schon Akzent gesetzt. "Wir haben die Flüchtlinge alle in Wohnungen untergebracht", erklärt Weinlich. Dennoch gab es auch Anfeindungen, denen die Stadt aber konsequent gegenübertrat. "Mit Hassparolen löst man keine Probleme", heißt es in einer Stellunnahme der Stadt.

Für IBA-Projektleiterin Ulrike Rothe knüpft der Campus mit seinem Projekt auch an die Gschichte an. "Viele Thüringer kamen nach 1945 als Vertriebene. An diese Erfahrungen wollen wir erinnern, wenn es um die Integration von Arbeitskräften aus dem Ausland oder um Flüchtlinge geht."

Thüringen als Stadt-Land

Einen ersten Einblick in die insgesamt 16 vom IBA-Beirat nominierten Projekte hätte es bereits Ende Mai 2015 geben sollen. In der Klassiker und NS-Stadt Weimar, in der die IBA ihren Sitz hat, war eine Viehhalle ausgewählt worden, um das neue Verhältnis von Stadt und Land zu thematisieren. Kurz vor Beginn der Schau aber brannte sie ab, Jugendliche haben sie angezündet. Auch so eine Art Tatendrang, nur eben ein anderer als der, den Marta Doehler-Behzadi befördern will.

Aber immerhin scheint sich inzwischen eine Überschrift herauszukristallisieren. "Wir nennen die IBA inzwischen mehr und mehr Stadt.Land.Thüringen", sagt die Geschäftsführerin und weiß sogleich, dass auch dieser Begriff mehrdeutig ist. Thüringen ist, auch ohne Metropole, zum einen das Land der dicht beieinander liegenden kleinen Städte. Und die können, mit Ausnahme von Gera im Südosten und Suhl im Süden, durchaus Bevölkerungsgewinne verbuchen. "Die Menschen wollen dort hin, wo es ein dichtes Angebot gibt." Umgekehrt heißt das, dass es im "Stadtland Thüringen" bei weitem nicht den Zug aufs Dorf gibt wie im Umland der Metropolen wie Leipzig oder Berlin. "Das brauchen die Menschen hier gar nicht, weil sie gleich in der Stadt oder außerhalb davon die Natur finden, die ansonsten der müde Großstädter sucht."

Doch damit erwächst auch eine neue Aufgabe. "Wenn wir die Siedlungsstruktur Thüringens erhalten und zukunftstauglich machen wollen, müssen wir die Dörfer ertüchtigen."

Dorfumbau wird also auch eines der Themen sein, dem sich die IBA-Thüringen bis 2023 widmen will. Die Zwischenbilanz soll übrigens 2019 gezogen werden, dem hundertsten Jahrestag der Gründung des Bauhauses in Weimar. Bleibt zu hoffen, dass die Stadt, aber auch der Freistaat Thüringen, dann so offen und tolerant innd, dass sich Ähnliches wie vor hundert Jahren nicht wiederholt. 1924 musste das Bauhaus Weimar und die Nazihochburg Thüringen verlassen – und zog nach Dessau.


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